Die Verwandlung – Beispielklausur
Aufgabenart: Analyse eines literarischen Textes mit weiterführendem Schreibauftrag (II A)
Die Verwandlung – Beispielklausur -Aufgaben
- Analysiere die Erzählung „Der Nachbar“ von Franz Kafka, untersuche dabei die Figur des Geschäftsmannes (Charakterisierung, Beziehung, Handlungsmotive, Entwicklung), die Erzählweise und sprachliche Besonderheiten.
- Stelle anschließend wesentliche Aspekte des Erzählanfangs von Kafkas „Die Verwandlung“ dar und vergleiche anschließend die Figuren im Hinblick auf ihre Situation und ihre Beziehung zu anderen Figuren.
Die Verwandlung – Beispielklausur – Lösung Aufgabe 1
Bei dem zu analysierenden Text handelt es sich um die 1917 erschienene Erzählung „Der Nachbar“ von Franz Kafka. Sie handelt von der Beziehung eines Geschäftsmannes zu dessen Nachbarn und seiner Furcht, dass dieser aufgrund der dünnen Wände der Wohnung wichtige Informationen über mögliche Geschäfte mithören und zu seinem Vorteil verwenden könnte. Im Laufe der Erzählung führt dies zu einer persönlichen Entwicklung der Hauptperson, da er zunehmend unsicherer und paranoider wird.
Der personale Ich-Erzähler tritt in Form des Geschäftsmannes direkt auf und wird nicht gesondert eingeführt: „Mein Geschäft ruht ganz auf meinen Schultern.“ (Z.1). Im Verlauf der Erzählung berichtet der namentlich nicht benannte Geschäftsmann über sein berufliches Umfeld, was mit einer Beschreibung des Geschäftes beginnt (vgl. Z. 2-5), wobei er ebenfalls seine „zwei Fräulein“ (Z.1) erwähnt, welchen allerdings innerhalb der Erzählung keine weitere Bedeutung zukommt, da sie auch nur ein weiteres Mal vorkomen: „Meine zwei Fräulein fühlten sich schon manchmal überlastet“ (Z.9-10).
Die Innensicht des Erzählers lässt den Leser bereits zu Anfang der Erzählung spüren, dass der Geschäftsmann ein widersprüchlicher Charakter ist. Im ersten Teil legt er offensichtlich Wert auf die von ihm besessenen Gegenstände, was durch die sprachlichen Mittel der Aufzählung und der Verwendung von Anaphern noch verstärkt wird: „Mein Geschäft ruht ganz auf meinen Schultern. […] Mein Zimmer mit Schreibtisch, Kasse, Beratungstisch, Klubsessel und Telefon“ (Z.1-3). Da dies für eine Zeitdehung sorgt, rücken die beschriebenen Gegenstände besonders in den Fokus. Besonders die Verwendung der Possesivpronomen mein/ meine sorgen dafür, dass der Geschäftsmann dem Leser als sehr ich-bezogen erscheint. Verstärkt wird dies durch die Titulierung seiner Vorzimmerdamen, da die Bezeichnung „meine zwei Fräulein“ (Z.9) eine besitzanzeigende Konnotation besitzt. Zwar betont er immer wieder, dass er sich nicht beklage: „Ich klage nicht, ich klage nicht.“ (Z.5), dies ändert sich jedoch mit der Einführung des „junge[n] Mann[es] „ (Z.6), welcher vor einiger Zeit in die leerstehende Wohnung neben der des Geschäftsmannes zog. Dieser Nachbar, welcher den Titel der Erzählung bedingt, wird zum Konflikt für den Kaufmann, da dieser ihn nicht richtig einschätzen kann. Dies wird schon aus der Erzählweise deutlich, da das bis dahin konsequente und selbstbewusste Erzählverhalten nun unruhiger wird. Gedankliche Einschübe: „Zimmer und Vorzimmer hätte ich wohl brauchen können – meine zwei Fräulein fühlen sich schon manchmal überlastet – aber wozu hätte mir die Küche gedient?“ (Z.9-11), in Verbindung mit der rhetorischen Frage am Schluss verdeutlichen die zunehmende Unsicherheit der Hauptfigur. Da de rNachbar Harras die Nachbarwohnung schneller mietete als der Geschäftsmann (vgl. Z. 6-11), fürchtet dieser nun, dass es sich zu einem ernsthaften Problem entwickeln könnte, dass er ihm in geschäftlichen Angelegenheiten zuvorkommt. Obwohl der Nachbar Harras somit den Gegenpol zur Hauptperson darstellt, weisen die Figuren einige Parallelen auf: Beide sind junge Geschäftsmänner, welche in ihren Wohnungen den gut florierenden Geschäften nachgehen. Dass von Seiten des Erzählers aus allerdings eine gewisse Antisympathie herrscht, wird in verschiedener Form deutlich. Zum einen vermeidet er persönlichen Kontakt und holt Erkundigungen ein, um Informationen über Harras zu erhalten, ohne dabei vor ihm sein Interesse zu bekunden (Z.13-24). Kommunikation kommt zwischen den Männern also nicht zustande, was dem Leser paradox erscheint, da dies bei der räumlichen Nähe und der beruflichen Aktivitäten eigentlich eine Normalität wäre. Zum anderen unterstreicht die Wortwahl und die Verwendung der sprachlichen Mittel diesen Eindruck. Der Vergleich: „Wie der Schwanz einer Ratte ist er hineingeglitten“ (Z.22) verbildlicht nicht nur für den Leser die Situation, sondern sorgt ebenfalls für eine negative Konnotation, da mit Ratten eine unangenehme Situation verbunden wird. Dies verdeutlicht die Unsicherheit des Erzählers und unterstützt den inhaltlichen Höhepunkt des Schlusses. Die Frage, worum seine Gedanken kreisen: „Was macht Harras, während ich telefoniere?“ (Z.36) beantwortet er für sich mit der Erkenntnis, dass Harras die mitgehörten Informationen möglicherweise bereits benutzt, um ihm entgegenzuarbeiten (vgl. Z. 34-46).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kafka es durch die Wahl eines personalen Erzählers zusammen mit der sprachlichen Gestaltung schafft, subtil aber konsequent die charakterliche Entwicklung des Kaufmannes darzustellen. Jener verändert sich vom anfänglich selbstbewussten, zufriedenen Geschäftsmann zu einem unsicheren Charakter, der permanente Überwachung und Gefahr fürchtet. Dies ist typisch für die Epoche des Expressionismus, in welcher die Menschen durch prägende schreckliche Ereignisse (wie den 1. Weltkrieg) das Vertrauen in die Menschheit verloren. Sie fühlten sich einsam und zugleich bedroht, da die nicht sichtbare Gefahr (wie hier der Nachbar) doch immer in der Nähe und allgegenwärtig ist.
Die Verwandlung – Beispielklausur – Lösung Aufgabe 2
Die in der ersten Aufgabe als epochentypisch analysierte Charakterentwicklung der Hauptfigur lässt sich auch im Werk „Die Verwandlung“ von Franz Kafka erkennen. In der 1916 veröffentlichten Erzählung geht es um die Metamorphose des Reisenden Gregor Samsa, welcher eines Tages als Ungeziefer erwacht und infolgedessen mit großen familiären Schwierigkeiten zu kämpfen hat, da er zwar anfangs geduldet, später allerdings verabscheut und missachtet wird. Gregor Samsa stirbt am Ende einen isolierten Tod, da er zwar noch bei seiner Familie lebt, allerdings nicht mehr Teil des sozialen Lebens ist. Gerade am Anfang der Verwandlung entsteht beim Leser eine befremdliche Diskrepanz, da die Metamorphose nicht genauer thematisiert wird und Gregor sich mit seiner Situation vorerst abzufinden scheint. Die Schilderung seiner beruflichen Probleme erscheint dem Leser in dieser Situation irreal und deplatziert. Der Einstieg bindet somit den Leser direkt ans Buch, da die Erwartungshaltung hoch ist und man sich nach einer Auflösung sehnt. Sowohl in Kafkas „Verwandlung“ als auch in „Der Nachbar“ lassen sich allerdings Parallelitäten bei den Gefühlen und Charaktereigenschaften der Hauptpersonen finden.
Zu Beginn lässt sich das Element der Überwachung anführen, welcher sowohl der Geschäftsmann als auch Gregor ausgesetzt sind. Zwar ist dies im Falle des Geschäftsmannes nicht einmal bestätigt, dennoch fürchtet er die fehlende Privatsphäre aufgrund der dünnen Wände und die Kontrolle durch seinen Nachbarn. In der Verwandlung entspricht dies Gregors Furch vor seinem Chef, welche sogar die Verwunderung über seine Verwandlung zu überschatten sceint. Gregor sieht sich selbst unter ständiger Beobachtung seines Chefs, was in ihm wie in dem Geschäftsmann ein beklemmendes Gefühl auslöst.
Eine weitere, wesentliche Parallelität ist die Isolation, der beide Figuren ausgesetzt sind. Während es Gregor aufgrund der veränderten Stimme nicht möglich ist, mit seiner Familie zu kommunizieren, findet zwischen dem Geschäftsmann und seinem Nachbarn aufgrund fehlender Bereitschaft ebenfalls keine Konversation statt. Somit leben beide relativ isoliert und bleiben alleine mit ihren Problemen.
Ein entscheidender Unterschied besteht jedoch in der Beziehung zu anderen Figuren. Während der Geschäftsmann seinem Nachbarn von Anfang an ein gewisses Konfliktpotential beimisst und scheinbar nicht sonderlich an einer Annäherung interessiert ist, versucht Gregor besonders am Anfang der Erzählung noch alles ihm mögliche, um den Wünschen seiner Familie nachzukommen. Diese Aufopferungsbereitschaft lässt sich bei dem Geschäftsmann nicht finden.
Die in beiden Erzählungen zu findenden Probleme der Unsicherheit und des Gefühls der Handlungsunfähigkeit sind, wie in Aufgabe 1 bereits erwähnt, epochentypische Merkmale des Expressionismus. Darüber hinaus lässt sich ebenfalls die Hypothese aufstellen, dass dies auch durch Kafkas biographischen Hintergrund verstärkt wurde, da er als alleiniger Sohn einer jüdischen Familie sein Leben lang unter dem Druck stand, seinen Eltern Ansehen zu bescheren. Während diese gleichzeitig seine sozialen Kontakte überwachten, da er nach ihren Vorstellungen leben sollte. Das Unverständnis, was seine Eltern ihm gegenüber hatten, könnte somit ein beeinflussender Faktor bei der Entstehung von „Der Verwandlung“ und dem „Nachbar“ gewesen sein.