Gedichtanalyse „Das Wort“ und Vergleich mit dem Chandos-Brief

Friedrich Nietzsche

Das Wort

Lebendgem Worte bin ich gut:
Das springt heran so wohlgemut,
das grüßt mit artigem Geschick,
hat Blut in sich, kann herzhaft schnauben,
kriecht dann zum Ohre selbst dem Tauben
und ringelt sich und flattert jetzt
und was es tut, das Wort ergötzt.
Doch bleibt das Wort ein zartes Wesen,
bald krank und aber bald genesen.
Willst ihm sein kleines Leben lassen,
mußt du es leicht und zierlich fassen,
nicht plump betasten und bedrücken,
es stirbt oft schon an bösen Blicken –
und liegt dann da, so ungestalt,
so seelenlos, so arm und kalt,
sein kleiner Leichnam arg verwandelt,
von Tod und Sterben mißgehandelt.
Ein totes Wort – ein häßlich Ding,
ein klapperdürres Kling-Kling-Kling.
Pfui allen häßlichen Gewerben,
an denen Wort und Wörter sterben.

 

 

 

Aufgabe 1. Analysieren Sie dieses Gedicht aus dem Nachlass Friedrich Nietzsches im Hinblick auf Bedeutung und Aufgabe, die den Worten und dem Umgang mit dem Wort beigelegt werden. Berücksichtigen Sie dabei auch die metrische und stilistische Gestaltung des Gedichtes.

Das sprachkritische Gedicht „Das Wort“ wurde von Friedrich Nietzsche geschrieben und ist 1980 von Giorgio Colli und Mazzino Montinari in München im Band „Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe“ veröffentlicht worden. Es handelt vom Verhältnis des Lyrischen Ichs zum Wort, beziehungsweise der Sprache und dem gesellschaftlichen Umgang damit.

Das Gedicht ist in einer Strophe von 22 Versen verfasst, hat einen durchgängig vierhebigen Jambus mit unregelmäßig wechselnden Kadenzen. Inhaltlich ist die Strophe in drei Abschnitte einzuteilen. In Zeile eins bis zehn beschreibt das Lyrische Ich das Wesen des Wortes, hierbei verwendet es ein positives Wortfeld. Im zweiten Abschnitt (V. 11 – 13) spricht das Lyrische Ich den Leser direkt an und fordert einen anderen Umgang mit Worten, dabei personifiziert das Wort als Wesen mit Gefühlen und sensibler Seele. Im letzen Teil (V. 14 – 22) erzählt das Lyrische Ich von den Folgen des falschen Umgangs mit Wörtern, verwendet negative Wortfelder und schließt mit einem Fluch an alle, die nicht mit Wörtern umgehen können.

Das Gedicht beginnt mit den Worten: „Lebend’gem Worte bin ich gut“. (V.1) Das Lyrische Ich ist den Worten also wohlgesonnen, solange sie „lebendig“ sind. Damit personifiziert es das Wort – was es auch im weiteren Verlauf des Gedichts macht. Sowohl „gut“ als auch „lebendig“ sind positiv behaftete Wörter, die das Verhältnis vom Lyrischen Ich zu en Wörtern klären. „Das springt heran, so wohlgemut, das grüßt mit artigem Geschick.“ (V.2f) Das Wort wird weiterhin personifiziert und eine aktive Rolle ein. Es „springt heran“ und „grüßt“, für das Lyrische Ich scheint es also keine Leistung des Menschen zu sein, die richtigen Worte zu finden, sondern es ist die Aufgabe des Wortes, präsent zu sein, wenn man es braucht. Beziehungsweise ist es die Aufgabe des Menschen, das Wort zu erwarten. Schließlich wird das Wort als „wohlgemut“ beschrieben, wieder positiv und mit menschlichen Gefühlen ausgestattet, das “artigen Geschick“ besitzt. Es hat also Manieren und ist „selbst im Ungeschick“ lieblich. (V.3f) Also selbst Versprecher oder eine ungeschickte Wortwahl, scheinen das Wort nicht abzuwerten. „Hat Blut in sich, kann herzhaft schnauben, kriecht dann zum Ohre selbst dem Tauben.“ (V.5f) Das Wort hat Blut in sich, es lebt also tatsächlich und kann atmen, also „herzhaft schnauben“, kurz: Empfindungen äußern. „Kriecht dann zum Ohre selbst dem Tauben“ ist ein Paradoxon, da Gehörlose nicht hören können sollten. In diesem Fall ist das Wort sehr körperlich dargestellt, es „kriecht“ und „ringelt sich“ und „flattert“ dann. (V.6) Der Gehörlose scheint es zu spüren, was einen realen Bezug hat, da die meisten Gehörlosen in der Lage sind, die Schallwellen von tiefen Tönen zu spüren. Ab Zeile neun schlägt die Stimmung des bisher positiven Gedichts um. Das Lyrische Ich spricht den Leser direkt an: „Doch bleibt das Wort ein zartes Wesen, bald krank und aber bald genesen.“ (V.9f) Trotz seiner Lebendigkeit und Aktivität, scheint das Wort doch verletzbar zu sein. Durch den Parallelismus „bald krank“, „bald genesen“ erreicht das Lyrische Ich den Eindruck einer gewissen Kurzlebigkeit. Das Wort darf sich auch mal verletzen; heißt, der Mensch muss nicht unfehlbar im Umgang mit dem Wort sein. Damit scheint er die darauf folgenden Vorwürfe im Voraus entschärfen zu wollen.

„Willst ihm sein kleines Leben lassen“ (V.11) Hier wird die Zartheit eines Wortes verdeutlicht, ebenso wie die Vergänglichkeit, da ein Leben beendet werden kann. Damit baut das Lyrische Ich Druck auf und erhöht die Fallhöhe für den Angesprochenen. In den folgenden zwei Versen setzt das Lyrische Ich zwei gegensätzliche Wortfelder: „Musst du es leicht und zierlich fassen,nicht plump betasten und bedrücken.“ (V.12f)Der Angesprochene muss es leicht und zierlich fassen und mit Vorsicht genießen, Achtung haben. Andernfalls kann das zu irreversiblen Schäden führen, die auch der Angesprochene nicht mehr zu beheben vermag.

Der letzte Abschnitt ist überflutet von negativen Wortfeldern wie „Tod“, „Seelenlos“, „hässlich“, „missgehandelt“ (V. 14 – 22) Das Lyrische Ich beschreibt ausführlich und mit vielen Adjektiven die negativen Folgen von einem gedankenlosen Umgang mit Worten. „Es stirbt oft schon an bösen Blicken“ (V.14) Der böse Blick ist eine Alliteration und gleichzeitig eine altbekannte Metapher für das Böse. Der Leser, bzw. der Angesprochene wird dämonisiert und in sehr bildlicher Form negativ dargestellt, was den letzten Teil des Gedichts trotz der negativen Worte sehr lebendig macht.“Und liegt dann da, so ungestalt, so seelenlos, so arm und kalt.“ (V. 15f) das Wort hat das Lebendige und Aktive verloren und scheint nicht mehr handlungsfähig zu sein. „Sein kleiner Leichnam arg verwandelt, von Tod und Sterben missgehandelt.“ (V. 17f) „Sein kleiner Leichnam“  ruft eine Assoziation von etwas Hilflosem, Beschützenswertem hervor, wie bei einem Kind. In Verbindung mit den Worten Leichnam, Tod und Misshandlung entsteht ein Gefühl von Brutalität und Kälte, die kein Mensch verspüren oder gar verursachen möchte. Das damit hervorgerufene oder/und verstärkte Schuldgefühl wird weiterhin aufrecht erhalten, indem das Lyrische Ich das eben noch betrauerte und zart umsorgte Wort plötzlich stark abwertet, fast beleidigt: „Ein totes Wort – ein hässlich Ding, ein klapperdürres Kling-Kling-Kling.“ (V.19) Es ist ein Parallelismus, eine Aufzählung und Alliteration in „klapperdürres Kling-Kling-Kling“. Zum ersten Mal benennt das Lyrische Ich den Zustand, um den es eigentlich geht: „Ein totes Wort.“ Das Lyrische Ich nennt es hässlich, für ihn hat es den Wert verloren, und es scheint, ganz üblich für den Trauerprozess, wütend zu werden. Wütend auf die Verursacher des Verlustes und des Leids, in diesem Fall fühlt sich vor allem der Leser angesprochen. Das Wort ist seines Inhalts beraubt worden, was es nur noch zu einem leer klingenden klapperdürren Etwas macht, etwa wie ein Skelett.

Letztlich folgt wieder eine direkte Ansprache für die, die es bis dato nicht verstanden haben:“Pfui allen hässlichen Gewerben, an denen Wort und Wörter sterben.“ (V.21f) Hierbei verwendet es das Adjektiv „hässlich“, um die zu beschreiben, die das Wort getötet haben. Kurz zuvor nannte es das tote Wort auch hässlich, was beide direkt verbindet und den Schuldspruch verstärkt. Das Wort wurde vom Menschen kontaminiert, wie ein schädliches Insektizid, das künstlich, unnötig und gefä#hrlich ist und die Worte haben eingehen lassen: „ein kleiner Leichnam, arg verwandelt.“

Das Gedicht „das Wort“ ist sprachkritisch, nicht sprachskeptisch. Das Lyrische Ich glaubt an die Fähigkeit von Worten, sieht den Ursprung ihres Verderbens aber im Menschen. Das Wort ist lebendig und aktiv, solange der Mensch damit umzugehen weiß. Das Gedicht ist in eine Rahmenkomposition eingebettet, das erste Wort lautet „Lebendigen“ und das letzte „sterben“, was auch den Verlauf der Stimmung im Gedicht charakterisiert. Es ähnelt einem Mini-Drama in 22 Versen. ZU Anfang stellt er das Wort vor, es herrscht eine positive Stimmung, obwohl es nur wenige positive Wortfelder gibt. Dann folgt das Anliegen des Gedichts, nämlich für den Umgang mit Worten zu sensibilisieren und präventiv gegen weitere Zerstörung  anzugehen, gefolgt von einer Standpauke mit negativen Wortfeldern, mit dem Ziel, den Leser aufzurütteln und essen Gewissen anzusprechen. Der letze Abschnitt wirkt durch viele, eindringliche Adjektive intensiver und noch subjektiver, da man Enttäuschung und Wut des Lyrischen Ichs geradezu spüren kann. Der Anfang des Gedichts scheint der Vergangenheit anzugehören. Zwar ist es im Präsens verfasst, doch hat man das Gefühl, das Lyrische Ich schwelge in Erinnerungen. Der Schluss dagegen ist aktuell und das, was das Lyrische Ich beschäftigt.  Das Gedicht richtet sich an nahezu jeden, da jeder spricht. Ein Appell an die Gesellschaft, ein Schuldspruch und eine Hommage an das lebendige Wort. Das traditionelle Formbild wurde eingehalten, da Nietzsche trotz des rebellischen Inhalts die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit erreichen wollte. Er lockt mit traditionellem Jambus und regelmäßigem Paarreim und erwischt den Leser dann mit dem Inhalt.

Aufgabe 2. Vergleichen Sie den sprachkritischen Ansatz in Nietzsches Gedicht „das Wort“mit dem des Chandos-Brief.

Nicht nur Nietzsche sah den Umgang mit Worten kritisch, auch Hugo von Hofmannsthal hatte seine Probleme mit der damals gegenwärtigen Sprache. Nachdem ich das Gedicht „das Wort“ von Nietzsche analysiert habe, werde ich im Folgenden den sprachkritischen Ansatz mit dem von Hofmannsthal vergleichen.

Hofmannsthal sagt, die zur Verfügung stehenden Wörter reichen ihm nicht mehr aus, um hinreichend darstellen zu können, was er fühlt und sieht. Sie sind abgeschmackt, fad und ohne Inhalt. Das sieht zum Teil auch Nietzsche so. Er sagt, Wörter können sterben, wenn man sie falsch behandelt und mit toten Wörtern ist nichts anzufangen, sie sind hässlich und ohne Seele. Hofmannsthal ist der Meinung, er müsse sein Verhältnis zu Worten ändern, um sie wieder für ihn gebräuchlich machen zu können. Er muss dich als Mensch und „Konsument“ des Wortes zurücknehmen und beobachten. Schließlich werden die Dinge ihren wahren Namen offenbaren. Das deckt auch die These von Nietzsche. Am Anfang seines Gedichts beschreibt er das Wesen eines lebendigen Wortes, das heranspringt, grüßt, sich aktiv einbringt und sich selbst Gehörlosen offenbart. Beiden ist gemeinsam, dass sie Im Menschen den passiven und im Wort den aktiven Part der Beziehung sehen. Während Hofmannsthal sich aber von den Worten verlassen fühlt, ist Nietzsche klar, dass sie gehen mussten, weil sie (personifiziert) nicht artgerecht behandelt wurden. Nietzsche verwendet eine stark metaphorische Sprache, die starke Empfindungen transportieren kann. Hofmannsthal empfindet auch, aber zum einen bediente er sich einer anderen Textart, einem Brief und er benutzt die metaphorische Sprache in Form von komplexen Chiffren. Hofmannsthal transportiert durch negative, fast ekelerregende Chiffren eine Abneigung gegen Sprache an sich. Nietzsche hingegen arbeitet mit Personifikationen, um Empathie für Sprache zu wecken. Hofmannsthal ist genervt von Sprache, Nietzsche verteidigt sie. Er zeigt auch, wie schön und hilfreich sie sein kann, wenn man sie leben lässt. Er ist enttäuscht vom Menschen, weil er die Sprache zerstört und mit den Überresten, die auch Hofmannsthal vor sich liegen hat, kann er auch nichts anfangen. Das merkt man vor allem im letzten Teil seines Gedichts, in dem er die Sprache herabwürdigt und ihr keinen Wert mehr zuspricht, sowohl ästhetisch als auch inhaltlich.

Hofmannsthal und Nietzsche haben ähnliche Ansätze. Beide erleben einen Verlust der Sprache und sind emotional. Beide versuchen den Schaden zu begrenzen, Hofmannsthal mit einer neuen Sprache der Chiffren und Nietzsche mit dem Kampf für die Erhaltung der Gegenwärtigen. Beide sind der Meinung, dass Wort und Menschzusammengehören und in gewisser Weise voneinander abhängig sind. Der Mensch braucht Worte, Worte aber auch den Menschen. Hofmannsthal ist der Meinung, die gegenwärtige Sprache ist verloren, Nietzsche glaubt an die Erhaltung, in seinem Gedicht appelliert er an die Gesellschaft, mehr auf ihren Umgang achtzugeben, um das Sterben zu verhindern. Auch, wenn er denkt, dass ein gewisser Teil verloren ist. Außerdem halten sich beide an traditionelle Formen. Der Brief ist mit Anrede, Einleitung, Gruß etc. verfasst und das Gedicht mit durchgehendem Metrum. Zielgruppe ist bei Nietzsche die Gesellschaft in ihrer gesamten Form, Hofmannsthal schreibt an Lord Bacon. Beide Autoren können als Sprachkritiker eingeordnet werden.